Patientenmonitoring: Medizintechnik-Studierende entwickeln innovative Prototypen
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Wurfassistent für Athleten, SOS-Manschette für Motorradfahrer und Atemkontrolle für Babys
In der Lehrveranstaltung „Patientenmonitoring“ entwickeln Studierende des Bachelorstudiengangs „Medizintechnik“ Funktionsmuster von Medizinprodukten. „Funktionsmuster sind Aufbauten, die Medizinprodukten zwar nicht unbedingt in Aufbau und Gestalt, aber in der Funktion gleichen. Die Studierenden arbeiten und dokumentieren dabei wie in der realen Entwicklung von Medizinprodukten, erstellen beispielsweise eine Risikoanalyse und spezifizieren, verifizieren und validieren ihr Produkt“, erklärt Professor Benno Dömer, der an der Fakultät für Technik der Hochschule Pforzheim lehrt. Seine Studierenden konzipierten unter anderem einen Handschuh als Wurfassistent für Schlagwurf-Athleten, eine SOS-Manschette, die die Überlebenschance bei Motorradunfällen erhöhen kann sowie ein System zur Lage- und Atemkontrolle bei Neugeborenen. „Die Aufgabe der Lehrveranstaltung war es, ein Körpersignal des Menschen aufzuzeichnen und in geeigneter Form auszuwerten.“
Leonie Gottschalk, Julian Eisenbraun und Jan Deurer konzipierten einen Wurf-Sportassistenten in Gestalt eines Handschuhs: „Unser Prototyp kann anhand von Sensordaten zu Erdbeschleunigung, Abwurfhöhe, Abwurfwinkel und Abwurfgeschwindigkeit die Wurfdistanz berechnen und diese auf einer Handy-App anzeigen lassen“, erklären die Studierenden. „Athleten können so ihr Training alleine durchführen, da die Distanz nicht abgelesen werden muss. Die berechnete Distanz spiegelt die exakte Leistung des Athleten wieder, da der Abwurfpunkt nicht überschritten werden kann und Störfaktoren, wie zum Beispiel der Wind, nicht berücksichtigt werden.“ Ein Mikrocontroller dient als Schnittstelle, um die Sensoren mit Strom zu versorgen, die Daten aufzuzeichnen, daraus die Distanz zu berechnen und diese abschließend an eine Handy-App zu senden. Der Beschleunigungssensor erfasst über sechs Achsen die Beschleunigungen im Spektrum von -16g bis +16g und die Winkeländerungen bis 1000 Grad pro Sekunde: „Sobald der Ball den Handschuh verlässt, wird die Ausrichtung des Handschuhs zur Erkennung des Austrittswinkels erfasst.“ Ein Drucksensor überwacht die An- und Abwesenheit des Balls innerhalb der Handfläche.
Justin Kinn, Dominik Meier, Christian Reiser, Trong Khang Lam und Vincent Wohlfarth wollen mit ihrer Idee den Straßenverkehr sicherer machen: „Unser Produkt ist in der Lage, einen Sturz von einem Kraftrad zu detektieren und daraufhin einen Notruf abzusetzen.“ Anschließend soll der physiologische Zustand des Nutzers abgefragt und der aktuelle Puls und die Sauerstoffsättigung, die Kontaktdaten des Nutzers und seines Notfallkontakts sowie der Ort des Unfalls über die dazugehörige Smartphone-App an einen Leitstellenserver des Notarztes übermittelt werden. Somit kann die Bergungsaktion besser geplant werden und der Notarzt bekommt bereits vor der Ankunft ein genaueres Bild vom Zustand seines Patienten. Der Nutzer trägt das System während der Fahrt am Unterarm, weshalb die Entwicklung als „SOS-Manschette“ bezeichnet wird. „Der integrierte Beschleunigungssensor zeichnet Bewegungen mit ansteigender Geschwindigkeit auf und der Mikrocontroller berechnet aus den Beschleunigungswerten der drei Raumrichtungen den Betrag des resultierenden Beschleunigungsvektors. Wird der Schwellwert überschritten, detektiert das System einen möglichen Sturz. Die App gibt daraufhin einen optischen und akustischen Hinweis, sowie ein Vibrationssignal über das Smartphone aus.“ Sollte kein Sturz stattgefunden haben, hat der Nutzer zehn Sekunden Zeit, um die Detektion durch ein einmaliges Drücken des Druckknopfes an der Manschette zu dementieren.
Awon Alauddin, Igor Gorbatschow, Daniel Schäfer und Kevin Maier entwickelten einen Gürtel, der Lage und Atem bei Neugeborenen kontrollieren kann. „Unsere Entwicklung erkennt, ob das Kind auf dem Rücken, auf der Seite oder auf dem Bauch liegt, stellt Atemaussetzer fest und löst bei Bedarf drahtlos einen Signalton an anderer Stelle aus.“ Der Notfallgürtel wird um den Brustkorb geschnallt, dessen Ausdehnung über einen Dehnungssensor gemessen werden kann. Wenn in einem Zeitraum von sechs Sekunden keine Ausdehnung festgestellt wird, wird dies an die zweite Einheit gesendet und dort ein Alarm ausgegeben. „Herausforderungen bzw. Marktanforderungen waren unter anderem, dass der Nutzer das System auf den jeweiligen Brustkorbumfang des Patienten einstellen und der Patient trotz Anwesenheit des Systems komfortabel schlafen kann“, geben die Studierenden einen Einblick in ihre Überlegungen.
„Die Studierenden konnten zum einen das bisher im Studium Gelernte in einem praktischen Projekt zusammenführen, zum anderen lernten sie Abläufe und Prozesse aus Entwicklungsabteilungen kennen. In der Abschlussveranstaltung stellen die Studierenden dann ihre Produkte mir und den anderen Gruppen vor“, fasst Benno Dömer zusammen.
Die Hochschule Pforzheim, so der Medizintechniker, biete dank ihrer räumlichen und technischen Ausstattung sowie der Vernetzung mit der regionalen Industrie ideale Voraussetzungen für Forschungskooperationen auf der einen sowie die praktische Realisierung des in der Theorie Erlernten auf der anderen Seite: „In den Werkstätten für Elektrotechnik und Mechatronik können studentische Arbeiten wie diese auch tatsächlich aufgebaut werden. Diese Infrastruktur ist nicht selbstverständlich“, so der Professor.
Bevor Benno Dömer 2021 seinem Ruf an die Hochschule Pforzheim folgte, war er seit 2013 für ein Medizintechnikunternehmen im Raum Karlsruhe tätig, zu dessen Leistungsportfolio Entwicklung, Produktion und Vertrieb lebenserhaltender Gerätetechnik zählen. „Hier leitete ich die Gruppe Vorentwicklung und Anforderungsmanagement und führte Technologieevaulationen und Machbarkeitsuntersuchungen sowie Forschungs- und Entwicklungsprojekte durch. Der Fokus lag auf nichtinvasiver Diagnostik, Schlafdiagnose- und Schlaftherapiesystemen“, so Benno Dömer. Unmittelbar vor seinem Eintritt in die Hochschule schloss er als Projektleiter das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt „CardioInBaMed“ ab, in dem ein nichtinvasives Verfahren zur Aneurysma-Früherkennung erforscht wurde.