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„Es ist kein Kopftuchprotest – es geht um das große Ganze“

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Zahlreiche Besucher bei Studium Generale-Vortrag von Islamwissenschaftlerin Professorin Dr. Amirpur
Das Studium Generale Team posiert stolz vor einem vollen Hörsaal.

Prof. Dr. Frauke Sander, Rektor Prof. Dr. Ulrich Jautz, Prof. Dr. Katajun Aminpur sowie Prof. Dr. Christa Wehner (v.l.n.r.) freuen sich über das große Interesse am Iran-Vortrag im Studium Generale. Foto: Cornelia Kamper / Hochschule Pforzheim

"Die Todesstrafe wird gezielt als Mittel der Unterdrückung genutzt. Die Menschen in Iran geben aber auch nach acht Monaten nicht auf, sie leisten im höchsten Maße Widerstand.“ Die Worte und Fakten von Amnesty International, die Professorin Dr. Frauke Sander, eine der beiden Wissenschaftlichen Leiterinnen des Studium Generale in ihrer Anmoderation wählt, sorgen für Betroffenheit. Doch sie verdeutlichen einmal mehr, wie aktuell das Thema des Vortrags ist, dem rund 400 Besucherinnen und Besucher im Audimax interessiert folgen. Die Islamwissenschaftlerin, Professorin Dr. Katajun Amirpur, führt die Hörerinnen und Hörer schrittweise an die Frage heran: "Iran – wie geht es weiter mit dem Aufstand gegen den Gottesstaat?“

Eine Rekapitulation des vergangenen Jahres macht den Anfang: In der Außenwahrnehmung habe die aktuelle Revolution mit dem Tod der jungen Jina Mahsa Amini begonnen, einer Kurdin, die zu Besuch in Teheran gewesen sei, nicht um eine Protestaktion zu starten. Sie sei lediglich durch die Straßen gegangen und habe dabei das Kopftuch - wie sehr viele andere Frauen auch - so getragen, dass ihre Haare sichtbar gewesen seien. An ihrem Tod infolge der „Behandlungen“ durch die Sittenpolizei, habe sich dann riesengroßer Protest entzündet. „Einer der Gründe ist, dass ein Großteil der Iraner und Iranerinnen sich gedacht hat‚ “das hätte jetzt auch meiner Schwester, Mutter, Tochter, Cousine, Familie passieren können“, auch Männer haben das erkannt“, so die Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur.

Ein weiterer wichtiger Punkt sei auch die Tatsache, wofür das Kopftuch stehe: „Es steht dafür, dass man den Menschen das Recht auf Selbstbestimmung verweigert und das schon seit Jahrzehnten. Daher ist es als feministischer Aufstand zu bezeichnen“, führt die Expertin fort. Zentraler Punkt der aktuellen Revolution sei die Selbstbestimmung, die sich nicht nur auf Kleidung beschränke. Dass man die Muttersprache Persisch in der Schule lernen dürfe, als auch seine sexuelle und religiöse Orientierung frei leben könne, seien zentrale Antriebspunkte für die Proteste. Positiv zu werten sei dabei die große Solidarisierung, beispielsweise unter berühmten Sportlerinnen und Sportlern wie der Kletterin Elnaz Rakabi, des Fußballspielers und Trainers Ali Daei oder des Strandfußballers Saeed Piramoon. „Wenn die Menschen im Iran es schaffen, sich von dem Regime zu befreien, was ich sehr hoffe, dann hat das eine enorme Ausstrahlung auf die restliche islamische Welt“ schließt die Islamwissenschafterin die Zusammenfassung der aktuellen Geschehnisse und geht zum historischen Teil über.

Prof. Dr. Katajun Aminpur am RednerpultDie Reuchlinpreisträgerin und Islamexpertin Prof. Dr. Katajun Aminpur referiert leidenschaftlich aber wissenschaftlich fundiert über den anhaltenden Aufstand im Iran. Foto: Cornelia Kamper / Hochschule Pforzheim

44 Jahre Aufstand – eine historische Einordnung

Um die aktuelle Lage besser verstehen zu können, müsse man auch die historischen Entwicklungen berücksichtigen. Die Aufstände hätten 1979 ihre Ursprünge, erklärt die Reuchlin-Preisträgerin 2022: Die Auflehnung gegen das Schah-Regime führte dazu, dass Ajatollah Ruhollah Chomeini an die Macht gekommen sei. Das Land habe sich allerdings anders entwickelt als es sich ein Großteil der Demonstranten damals wünschte. Vor allem die Rechte der Frauen seien in den darauffolgenden Jahren stark beschnitten worden. Scheidungen waren kaum möglich, Arbeiten und Auslandsreisen ohne die Genehmigung des Ehemannes nicht erlaubt. Durch den Krieg, der von 1980 an acht Jahre das Land beherrschte, hätten Frauenrechte zunächst wenig Beachtung erhalten. Erst 1989, nach dem Tod des damaligen Herrschers und durch die Gründung der Zeitschrift Zanan (1992) gewannen sie langsam wieder an Bedeutung. 1997 wurde sogar Mohammad Khatami, der sich für eine Rechtstaatlichkeit und Frauenrechte einsetzte, zum Präsidenten gewählt. Doch auch ein Reformpräsident an der Macht könne gegen das Bollwerk nichts ausrichten, führte Amirpur aus: „Das hat aber gezeigt, dass schon damals der Wandel gewollt wurde.“ Die Geschichte der Reformpolitik, mit einem aufgeschlossenen Präsidenten an der Spitze, der am Widerstand der konservativ-islamistischen Elite in Parlament und Verwaltung scheiterte, wiederholte sich 2013 ein weiteres Mal. Begleitet von Demonstrationen wie den großen Studentenprotesten 1999 oder den großen Massenprotesten 2017/18 wuchs im Iran die Erkenntnis, dass ein Wandel von Innen nicht möglich sei.

Waffen des Regimes gegen den Aufstand:

„Zehn Prozent, die hochgerüstet sind, können 90 Prozent unterdrücken – das zeigt sich seit vielen Jahren im Iran“, fasst Expertin Katajun Amirpur sowohl die vergangen als auch aktuellen Bemühungen zusammen.  Warum sie keinen Erfolg hatten, zeigt die Islamwissenschaftlerin an den aktuellen Maßnahmen, die die Regierung immer wieder einsetze: Die Revolutionsgarde knüppelt die Aufständischen mit extremer Brutalität nieder. Zu deren Unterstützung kämen Überwachungs- und Informationssysteme zum Einsatz, die Frau Amirpur an einem erschreckenden Beispiel schildert. „Wenn ich im Auto das Kopftuch nicht trage, bekomme ich eine SMS, dass ich gegen das Kopftuchgebot verstoße. Wenn ich es ein zweites Mal mache, wird das Auto abgestellt - so weit geht das mittlerweile dort“, erzählt sie und schaut in besorgte Gesichter. Zudem seien seit Oktober Vergiftungen von Schülerinnen eine Waffe gegen den Aufstand. Tausende von Mädchen seien durch Giftgas ums Leben gekommen, der Staat bekenne sich allerdings nicht zu diesen Anschlägen. Bei einer Vorgehensweise, die auch die Todesstrafe als Abschreckung nutzt, bleibt nicht nur bei den Gästen die Frage: Wie soll es weitergehen?

 

„Iran – wie geht es weiter mit dem Aufstand gegen den Gottesstaat?"

Professorin Dr. Katajun Amirpur schließt ihren anschaulichen Vortrag mit einem Ausblick, der ihren aktuellen Buchtitel aufnimmt: Iran ohne Islam. Zu beobachten sei eine starke Abwendung vom Islamismus und eine Zuwendung zum Zoroastrismus, einer der ältesten monotheistischen Religionen, die noch sehr im Leben im Iran verankert sei. Das Neujahrsfest, das im März gefeiert wird, ist hier nur ein Beispiel.

Was es bräuchte, damit es zu dem Umsturz kommt? „Risse innerhalb der Garde – eine Art Gorbatschow in Iran“, ist sich Amirpur sicher. Aber Iran ganz ohne Islam? „Ich werde häufig gefragt, ob ich es ernst meine mit dem Titel, er sei ja sehr provokativ. Natürlich nicht - Wenn es irgendwann ein säkulares System gibt, können die Menschen den Islam wieder so leben, wie sie das möchten.“ Der Islam sei auch in der schönsten Art und Weise prägend und bestimmend für den Iran gewesen, so dass man ihn nicht wegdenken könne. Vor allem auf Feste, Kunst und Kultur bezogen: „Wenn Iraner etwas sind, dann sind sie ein Volk der Literatur und Poesie, also wird viel vom Islam übrigbleiben“.

Auf eine der zahlreichen Fragen aus dem Publikum findet die Islamwissenschaftlerin sehr deutliche Worte. Wie sie zur Verbrennung des Kopftuchs als religiöses Symbol stehe, sei klar: „Ich finde es nicht verwerflich, ein Kopftuch zu verbrennen. Ich finde es verwerflich, Menschen zu töten, die ein Kopftuch verbrennen.“
 

Das STUDIUM GENERALE geht wie im vergangenen Jahr mit einem Campus Classic Concert am 7. Juni Zu Ende. Das Südwestdeutsche Kammerorchester Pforzheim regt in Wort und Klang zur Beschäftigung mit der reichen und faszinierenden Welt der Musik an. Das Konzert wird nicht übertragen, eine verbindliche Reservierung (bei freier Platzwahl) ist erforderlich an studium-generale(at)hs-pforzheim(dot)de.