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Eine kleine Modellfabrik für die innovative Zukunft der Fabrikautomation

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Wie Studierende und Doktoranden die Automatisierung von morgen erforschen
>> von Maximilian Engelsberger, Grischan Engel und Thomas Greiner >

Wie kann die Zukunft der Fabrikautomation (üblicherweise als „Industrie 4.0“ bezeichnet) effizient erforscht werden?
Eine mögliche Antwort lautet: Indem die Fabrik ins Labor kommt. Die modulare Produktionsanlage 4.0-Minifab des Instituts für Smart Systems und Services (IOS3) hat genau dies zum Ziel. Die Anlage setzt sich aus einzelnen Produktionseinheiten modular zusammen. Eine einzelne Produktionseinheit benötigt dabei nicht mehr Platz als ein DIN A4 Blatt. Ein typischer Modellprozess passt somit auf einen herkömmlichen Büroschreibtisch.

Grundidee und Ziele
Zur Erforschung von Industrie 4.0, müssen neue Konzepte für Produktionsanlagen entworfen und realisiert werden. Ziel des Projekts 4.0-Minifab ist es, solch eine Anlage in verkleinerter Form aufzubauen, welche die erforderlichen Freiheitsgrade zur Entwicklung und Bewertung neuer Konzepte bietet. Bei der Entwicklung der Modellanlage geht es um die Fragestellung: Wie können neben klassischen Anforderungen an eine Anlage wie Zuverlässigkeit und Effizienz neue Anforderungen wie Wandelbarkeit, Flexibilität und Adaptivität eingebracht werden?

Designkonzept der Modellanlage
Wie bereits beschrieben, setzt sich die Anlage aus modularen Produktionseinheiten zusammen. Durch eine Neuanordnung der unterschiedlichen Module können unterschiedliche Modellprozesse in kürzester Zeit konfiguriert werden. Nach dem Anordnen der Modulboxen werden diese mit Strom- und Datenanschlüssen versorgt und durch Transporteinrichtungen untereinander verbunden. Neben ihrem modularen Aufbau veranschaulicht die 4.0-Minifab durch eine farbige Beleuchtung das aktuelle Geschehen. LED-Beleuchtungen an den Baugruppen informieren dabei über den aktuellen Betriebszustand. So lassen sich die Verarbeitungsschritte der einzelnen Module, wie bspw. Mischen, Temperieren, Filtrieren oder Dosieren von Flüssigmedien in den Reaktoren einfach und realitätsnah verfolgen. Entstehende Mischprodukte werden auch durch LED-Farbmischungen dargestellt. Über eine Mensch-Maschine-Schnittstelle (engl. Human-Machine-Interface, HMI) kann der aktuelle Status jeder Modulbox fortlaufend überwacht und kontrolliert werden.
Da viele Bauteile zur Herstellung der Module nicht direkt käuflich zu erwerben sind, werden diese selbst mittels additiver Fertigung („3D-Druck“) hergestellt. Hierdurch lassen sich schnell und kostengünstig maßgeschneiderte Bauteile drucken.

Umsetzung mit moderner Informationstechnologie
Die Minifabrik verzichtet vollständig auf klassische speicherprogrammierbare Steuerungen (SPS) und proprietäre Bussysteme der „klassischen“ Automatisierungstechnik. Jedes der Module verfügt neben Sensoren und Aktuatoren über eine eigene, dezentrale Rechnereinheit: Eine 32-Bit Mikrocontrollerplattform, basierend auf dem freien und offenen Referenzdesign Ethernut 5 *. Es werden konsequent allgemein bekannte Programmiersprachen (C/C++, Java), XML-basierte Beschreibungssprachen und eine internetbasierte Kommunikation sowie Service-orientierte Architekturen (SOA) eingesetzt. Die Zuverlässigkeit wird über ein Echtzeitbetriebssystem sichergestellt. Das System ist damit vollständig unabhängig von etablierten Komponentenanbietern der Automatisierungstechnik und es besteht somit nicht die Gefahr, von einem Hersteller und dessen Serviceverträgen abhängig zu werden (sog. Vendor Lock-In).

Plattform für Forschungsprojekte
Wissenschaftlich betrachtet ist die 4.0-Minifab ein Beispiel für ein sog. cyber-physisches Produktionssystem (CPPS). Wesentliche Merkmale sind hierbei modulübergreifende Regelschleifen und die gemeinsame Betrachtung von physischen und virtuellen Systemteilen. Im Rahmen von Promotionen und studentischen Arbeiten werden damit unterschiedliche Fragestellungen erforscht. Eine der Promotionen fokussiert auf die Wandelbarkeit von modularen Produktionskomponenten und den zugehörigen Diensten in der Verfahrenstechnik. Abhängig vom jeweiligen Rezept, also der Anleitung welches Produkt hergestellt werden soll, wird eine möglichst optimale Modul- und Dienstekonfiguration gesucht. Eine weitere Arbeit hat zum Ziel, die genutzten IT-Dienste der Anlage auch unter dynamisch veränderlichen Bedingungen, z. B. bei auftretenden Störungen, immer optimal zur Verfügung zu stellen. Neben den laufenden Promotionen wurden bereits 25 interdisziplinäre studentische Arbeiten, darunter 11
Abschlussarbeiten, durchgeführt.

Zusammengefasst betrachtet erlaubt die 4.0-Minifab Fragen zu beantworten, wie eine intelligente und sich selbstorganisierende Fabrik von Morgen aussehen könnte.


Zu den Autoren
Maximilian Engelsberger, M. Sc. und Grischan Engel, M.Sc.
sind Doktoranden des in Zusammenarbeit mit der Universität Tübingen angebotenen Promotionskollegs Entwurf und Architektur Eingebetteter Systeme (EAES).
Prof. Dr. Thomas Greiner ist Leiter des Instituts für Smart Systems und Services und einer der beiden Sprecher des kooperativen Promotionskollegs.