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Ethische und nachhaltigkeitsbezogene Entscheidungen in der produzierenden Industrie: ein konkretes Beispiel

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Mechanische Bewegungen statt mit Druckluft mit elektrischen Antrieben erzeugen. Ein Lehrbeitrag, der es erlaubt, konkret und gut verständlich über Nachhaltigkeit und die Gestaltung der Zukunft der Gesellschaft zu sprechen und mit jungen Menschen zu diskutieren, welche Beiträge diese selbst leisten können, um ethisch richtige und umweltpolitisch wichtige Entscheidungen bei der Entwicklung von Maschinen zu treffen.

Abbildung 1: Wenn Druckluft zur Erzeugung von Bewegungen (= „mechanische Nutz-leistung“) verwendet wird, so geht sehr viel der zur Drucklufterzeugung aufgewendeten primären elektrischen Energie verloren. Darstellung erzeugt mit SankeyMATIC und in Anlehnung an: Bundesamt für Energie (BFE). ERSATZ VON PNEUMATISCHEN UND HYDRAULISCHEN ANTRIEBEN DURCH ELEKTROANTRIEBE. Bern: Dez. 2006. Abb. 5, S. 16. Z. B. zu finden unter: https://www.osti.gov/etdeweb/servlets/purl/20969710, zuletzt aufgerufen am 5.10.2023.

Abbildung 2: Wenn Bewegungen (die „Mechanische Nutzleistung“) mit elektrischen Antrieben erzeugt werden, so wird ein sehr großer Anteil der elektrischen Primärenergie sinnvoll genutzt. Darstellung in Anlehnung an: Bundesamt für Energie (BFE). ERSATZ VON PNEUMATISCHEN UND HYDRAULISCHEN ANTRIEBEN DURCH ELEKT-ROANTRIEBE. Bern: Dez. 2006. Abb. 6, S. 20. Z. B. zu finden unter: https://www.osti.gov/etdeweb/servlets/purl/20969710, zuletzt aufgerufen am 5.10.2023.

Der Zustand heute: Druckluft ist »eh da«

In vielen Fabriken wird Druckluft erzeugt und an verschiedenen Produktionsstellen oder Produktionsmaschinen bereitgestellt. Schon lange ist bekannt, dass Druckluft als Energietransportmedium viele und große Verluste aufweist. Was eventuell nur wenigen bekannt ist: Besonders schlecht ist die Energiebilanz, wenn Druckluft verwendet wird, um Bewegungen zu erzeugen (Abbildung 1).

Die Kosten für die Erzeugung der Druckluft und somit die Kosten für die vergeudete, da nicht sinnvoll genutzte Energie tragen die Betreiberinnen der Fabrik. In früheren Jahrzehnten hat das die Fabrikbetreiberinnen kaum interessiert. Ebenso wenig hat die Fabrikbetreiberinnen interessiert, dass die Verwendung von Druckluft zur Erzeugung von Bewegungen unter CO2-Aspekten schon immer sehr schlecht war (nan muss nur berücksichtigen, dass in der Vergangenheit der Anteil mit fossilen Brennstoffen erzeugter elektrischer Energie früher noch viel größer als heute war). Hätte man sich schon früher für Energiekosten und den CO2-Fußabdruck interessiert, so hätte die Wirtschaft etwas gegen diesen Zustand getan, gemäß dem (neo-)kapitalistischem Paradigma: „Der Markt regelt das schon selbst“. Aber warum ist dann, trotz des schlechten Wirkungsgrads und trotz der schlechten CO2-Bilanz, die Druckluft zur Erzeugung von Bewegungen (noch immer) so verbreitet und warum hat der Markt diese Missstände nicht selbst geregelt?

Eine stark vereinfacht zusammengefasste Antwort ist: Druckluft war schon immer und ist auch heute noch bei vielen Kunden »eh da«. »Eh da« Kosten hat bisher niemanden interessiert. Hinzu kommt, dass pneumatische Antriebselemente Hardware-technisch einfacher und deswegen auch kostengünstiger oder sehr viel kostengünstiger als hocheffiziente, elektrische Antriebe waren und oftmals auch noch sind. Wenn dann die Maschinenbauerin einer Einkäuferin gegenüber sitzt, die nur die Anschaffungskosten betrachtet, so ist vorprogrammiert, dass die Betriebskosten und dass unsere gemeinsame Umwelt »auf der Strecke« bleiben.

 

Umdenken in Krisenzeiten

Nun ja, was halt »eh da« ist, wird eventuell nur dann (erneut) beleuchtet, wenn es zu einer Krise kommt.

Eine derartige Krise gab es im z. B. im Jahr 2022, eine Energiekrise. Obwohl die Klimakrise schon sehr viel länger bekannt und zumindest kognitiv bewusst ist, scheint erst die Energiekrise des Jahres 2022, ein Umdenken bezüglich der Nutzung von Druckluft zu bewirken. Denn diese Energiekrise wurde und wird noch immer sehr viel direkter von der Gesellschaft gespürt wird als die noch immer vergleichsweise langsam ablaufende Klimakrise.

Mit dem Beginn der Energiekriese und der erheblichen Verteuerung der Energieerzeugungskosten beginnen auch die Betriebswirtinnen in der produzierenden Industrie die Gesamtkosten von Druckluft erstmals oder (mal wieder) neu und ehrlich zu bewerten. Diese Betriebswirtinnen kommen dann eventuell zum Schluss, dass Druckluft sehr teuer ist. Ob diese Betriebswirtinnen schon wissen, dass Druckluft besonders teuer ist, um mit dieser sehr teuren Druckluft auch noch Bewegungen zu erzeugen, ist fraglich.

 

Ein Ansatz zur nachhaltigen Verringerung des Druckluftbedarfs in der produzierenden Industrie: Bewegungen mit elektrischen Antrieben erzeugen

Die gute Nachricht ist: Wenn es darum geht, Bewegungen zu erzeugen, so sind elektrische Antriebe die fast immer bessere Alternative. Wie viel besser die hoffentlich regenerativ erzeugte elektrische Energie mit elektrischen Antrieben in Bewegungen umgesetzt wird, geht aus Abbildung 2 hervor.

Insbesondere bei Maschinen, in denen letztendlich nur mechanische Bewegungen ausgeführt werden müssen, können vollständig ohne Druckluft, rein mit hocheffizienten und deswegen nachhaltigen elektrischen Antrieben ausgeführt werden. Im Fall des Beispiels, das den Abbildungen 1 und 2 zugrunde liegt, steigt Wirkungsgrad η von 6 % mit Druckluftantriebstechnik auf 80 %, nur durch den Wechsel auf elektrische Antriebstechnik.

 

Lehrbeitrag

Im Rahmen der Ausbildung von Studentinnen und Studenten in der Antriebstechnik an der Hochschule Pforzheim wird der zuvor beschriebene Sachverhalt vermittelt. Konkret wird das Beispiel in der Veranstaltung „Auslegung und Auswahl elektrischer Antriebe“ des Studiengangs Bachelor Maschinenbau Produktentwicklung und in der Vorlesung „Antriebssysteme“ im Master-Studiengang Mechatronische Systementwicklung behandelt. Denn das Wissen, dass die Erzeugung von Bewegungen mittels Druckluft schlecht ist, ist definitiv kein weit verbreitetes »Allgemeinwissen«, das man als Dozentin und Dozent als bekannt voraussetzen darf.

Im Anschluss an die reine Fakten- und Wissens-Vermittlung kann man mit den Studentinnen und Studenten verschiedene Aspekte diskutieren:

  • Was sind unter CO2-Aspekten und unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit die richtige Wahl: die Verwendung der für die Maschinenbauerin oftmals günstigen, da nicht zu bezahlenden Druckluft zur Bewegungserzeugung?  Oder die Verwendung elektrischer Antriebe, die im Vergleich zu Druckluftantrieben größere Materialkosten verursachen?
  • In welchen Anwendungen sind Materialkosten eventuell wichtiger als Betriebskosten?  Was sind typische Anwendungsfälle?
  • Wer sind die »Stakeholder«?  Nur der eigene Einkauf, die eigene Produktion und der eigene Verkauf / der eigene Vertrieb?  Oder auch die Kunden?  Oder gar die Gesellschaft als Ganzes, mit den Gemeingütern „Umwelt“ und „Klima“?
  • Vor allem: Welche ethisch-moralische Verantwortung tragen die jungen Menschen selbst, wenn Sie als Maschinen-Entwicklerinnen und ‐Entwickler eine Entscheidung fällen müssen: „Druckluftantrieb oder elektrischer Antrieb“?  Was können diese selbst tun, um gegebenenfalls die aus Ihrer Sicht richtige Entscheidung durchzusetzen, gegebenenfalls auch gegen den Druck aus dem Unternehmen, bei dem diese angestellt sind?

Es gibt auch noch weitere Aspekte, die im Zusammenhang mit der Druckluft diskutiert werden können: die von mit Druckluft angetriebenen Maschinen erzeugte Lärmverschmutzung und die zu erwartende Lebensdauer der verwendeten Komponenten. Wenn man den Studentinnen und Studenten vermittelt, dass elektrische Antriebe oftmals deutlich leiser als Druckluftantriebe sind (z. B. gut nachzuvollziehen am Beispiel eines aus einer PWK-Werkstatt bekannten Druckluftschraubers, der im Gegensatz zum Elektroschrauber einen extremen Lärmpegel erzeugt) und dass elektrische Antriebe oft eine längere Lebensdauer haben (so dass die Nachhaltigkeit besser ist, da die elektrischen Antriebe weniger oft als Komponenten von Druckluftantrieben getauscht werden müssen), so können die Studentinnen und Studenten noch weiter gefestigt werden, um am Ende durch die tagtäglich zu treffenden Entscheidungen im Kleinen Beiträge leisten zu können, die zu einer nachhaltigeren und somit besseren Zukunft führen.

 

vunk - Zentrum Verbraucherforschung und nachhaltiger Konsum, Fachgruppe Lehre
Hochschule Pforzheim, Peter Heidrich, 10. Oktober 2023.