Sicherheit neu denken: Warum Europa stärker zusammenrücken muss

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Christoph Heusgen über Russland, China, die USA – und die Grenzen deutscher Außenpolitik

Prof. Dr. Frauke Sander, Dr. Christoph Heusgen, Rektor Prof. Dr. Ulrich Jautz sowie Prof. Dr. Nadine Walter freuen sich auf den bevorstehenden Vortrag im Audimax (v.l.n.r.). Foto: Cornelia Kamper / Hochschule Pforzheim.

Mit einem klaren Blick auf die weltpolitische Lage und eindringlichen Appellen für eine gemeinsame europäische Sicherheitspolitik gastierte Christoph Heusgen, Diplomat und jahrelanger außenpolitischer Berater von Angela Merkel, an der Hochschule Pforzheim. In seinem Studium Generale Vortrag schilderte er die Verschiebungen globaler Machtverhältnisse und leitete daraus ab, welche Konsequenzen Europa – und insbesondere Deutschland – für die Zukunft ziehen muss. Das Audimax war bis auf den letzten Platz gefüllt, was eindrucksvoll das große Interesse an der aktuellen Weltlage zeigte.

Die internationale Ordnung befindet sich im Wandel. Während die globalen Einflusszonen der USA und Russlands historisch tief verwurzelt sind, hat China seine geopolitischen Ambitionen erst vergleichsweise spät, dafür aber äußerst strategisch ausgebaut. Der Referent machte deutlich, dass diese drei Akteure die weltpolitische Bühne neben der Europäischen Union entscheidend prägen – oft jedoch mit gegensätzlichen Interessen und unzuverlässigen Partnerschaften.

Für Europa bedeutet das: Sicherheit kann nicht länger ausschließlich auf globalen Bündnissen basieren. „Die großen Player bewegen sich nach ihren eigenen Prioritäten“, so Heusgen. „Europäer müssen darauf vorbereitet sein, dass sich die USA zurückhält, auch im Falle eines Angriffes“. Und das würde bedeuten, dass die EU stärker zusammenrücken müsse: mehr Kooperation und Einigkeit auf allen Ebenen, von Freihandelsabkommen über militärische Zusammenarbeit bis hin zur Immigration. Vor einer wachsenden Nationalisierung warnte der Experte ausdrücklich. Er verwies darauf, dass viele europäische Staaten historisch, politisch und wirtschaftlich eng verbunden seien und damit über ein Potenzial verfügten, das in weltpolitischen Dimensionen oft unterschätzt werde. Dieses Potenzial müsse jedoch durch klare Strukturen, abgestimmte Entscheidungen und gemeinsames Handeln gestärkt werden.
 

„Ich glaube, dass wir am längeren Hebel sitzen aber wir brauchen Durchhaltevermögen“

Besonders eindrücklich analysierte der Referent den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und die dahinterliegenden strategischen Beweggründe. Heusgen erklärte, dass es eine entscheidende Wende in Putins Politik gegeben habe: Nachdem klar wurde, dass Russland wirtschaftlich nicht die geplante Größe erreichen könne, habe der Kreml-Chef begonnen, aggressiver vorzugehen, um seine Macht auszubauen und Russland zu alter Größe zurückzuführen. „Putins Ziel ist heute klar: die ehemalige Sowjetunion in gewisser Weise wiederherstellen“, sagte Heusgen. 

Er warnte vor den Konsequenzen, falls Russland seine militärischen Ziele in der Ukraine erreicht: „Dann wird er keinen Halt machen und sich nicht zufriedengeben.“ Ein eindrückliches Beispiel für die provokative Inszenierung russischer Machtpolitik zeigte Heusgen aus einem Gipfeltreffen in Alaska: Außenminister Lawrow erschien vor den Gesprächen in einem Pullover der UdSSR, was als ein bewusstes Signal gegenüber dem Westen gedeutet werden kann. 

Für die Ukraine zieht Heusgen daraus konkrete Lehren: Die Verteidigungsfähigkeit des Landes muss langfristig gestärkt werden, sowohl durch militärische Ausbildung als auch durch Ausrüstung, um künftigen Aggressionen standhalten zu können. Nur eine glaubwürdige Abschreckung könne verhindern, dass der Konflikt weiter eskaliert oder die Sicherheitsarchitektur Europas untergraben wird. Der ehemalige Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz ist jedoch optimistisch, dass Putin den Krieg nicht gewinnen werde, es sei nur eine Frage der Zeit bis ihm die Ressourcen ausgehen würden. 

 

Persönlicher Einblick – und überraschender Optimismus

Doch nicht nur Russland, auch die USA sind aus seiner Sicht als verlässlicher Partner nur eingeschränkt zu sehen. China sowie die USA würden sich mehr auf sich selbst besinnen. Nicht nur eine persönliche Geschichte baute Heusgen im Laufe des Abends ein: Für das erste Aufeinandertreffen von Trump mit Bundeskanzlerin Merkel beispielsweise bereitete Heusgen im Hintergrund einiges vor. Dafür sprach er u.a. mit Jared Kushner, Trumps Schwiegersohn, der ihm sagte: „Wir sind Geschäftsleute – ein Tag ist man Feind, ein Tag Freund.“ Diese Haltung würde sich bis heute in den Handlungen Trumps widerspiegeln. 

Der Vortrag machte deutlich: Die kommenden Jahre verlangen sicherheitspolitische Weichenstellungen, die über nationale Interessen hinausgehen. Der Aufbau einer gemeinsamen europäischen Verteidigungsfähigkeit, die langfristige Unterstützung der Ukraine und die stärkere politische Geschlossenheit der EU sind dafür zentrale Pfeiler. Trotz vieler Krisen bleibt die Grundbotschaft des Referenten optimistisch: Wenn Europa zusammenarbeitet, kann es mehr Stabilität schaffen, als viele derzeit glauben.

 

4 Menschen, davon zwei Frauen (Organisatorinnen des Studium Generale) sowie zwei Männer (Hochschulrektor und Vortragender Christoph Heusgen) lächeln in die Kamera.Christoph Heusgen zog das Publikum mit zahlreichen Anekdoten aus seiner Zeit mit Angela Merkel in den Bann. Foto: Cornelia Kamper / Hochschule Pforzheim.