„Eine Ära geht zu Ende“ Die Hochschule Pforzheim verabschiedet Professor Dr. Norbert Jost von der Fakultät für Technik
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Das Ende des Wintersemsesters 2024/25 markierte gleichzeitig auch das Ende seiner offiziellen Amtszeit: Prof. Dr.-Ing., Dipl.-Wirt.-Ing. (FH) Norbert Jost verabschiedet sich in den Ruhestand.
Sie sind 1996 von der DEKRA Stuttgart an die Hochschule Pforzheim gekommen. Wie waren für Sie die ersten Tage und Wochen? Welche Erinnerungen verbinden Sie mit Ihrer Anfangszeit in Pforzheim?
Prof. Jost: Es war eine wahnsinnstolle Aufbruchstimmung. Das T1 Gebäude stand zwar, aber insbesondere Labor-mäßig eben noch ziemlich leer. Parallel zu den letzten Innenausbauarbeiten und dem mithin in sehr kurzer Zeit zu realisierenden Laboraufbau fanden aber schon die ersten Lehrveranstaltungen statt. Ausweichen durften und konnten wir in seinerzeit flugs von der Witzenmann GmbH zur Verfügung gestellte Lageräume, in denen wir dann auch unser Werkstofflabor mit u.a. Schmelz- und Legierungsversuchen und noch einfachen mikroskopischen Untersuchungen durchführen konnten. Ein weiteres Thema war damals (wie heute auch wieder) die Studentengewinnung. Es war eine Zeit, in der technische Studiengänge nicht so gefragt waren. Letztlich konnten und durften wir aber mit noch wenigen Kollegen in dieser „Gründer- und Aufbruchzeit“ die Grundlagen für den heutigen hervorragenden status quo der Technik an der Hochschule Pforzheim schaffen. Und, was soll ich sagen, es hat richtig richtig Spaß gemacht, so einen Neuaufbau von Grund auf mitmachen und bis heute begleiten zu dürfen!
An welches Ereignis, welchen Moment oder welches Projekt während Ihrer Karriere in Pforzheim erinnern Sie sich besonders gern zurück?
Prof. Jost: Im Laufe der Zeit konnten wir im Werkstoffkundebereich eine Vielzahl von Forschungsprojekten akquirieren, die teilweise noch heute und auch zukünftig sehr positiv für den Maschinenbau und die Fakultät Technik wirken. Wir gehörten u.a. zu den drei aktivsten und drittmittelstärksten Gruppen an der Hochschule. Aber zwei Projekte waren und sind bis heute etwas ganz Besonderes. Zum einen war dies das allererste Forschungsprojekt, was wir einwerben konnten, bei dem es um Legierungen mit Formgedächtnis oder auch kurz Memory-Legierungen ging. In Partnerschaft mit Kollegen der Hochschulen Heilbronn/Künzelsau und Konstanz war dies ein sehr erfolgreiches Projekt, mit dem wir auch unsere ersten rein über Drittmittel angeschafften Untersuchungsgeräte im Werkstofflabor integrieren konnten. Das zweite Projekt läuft bis heute und, wie es aussieht, auch zukünftig noch weiter. Hier wurden wir im Bereich Werkstoffkunde (und lange parallel auch im Bereich Fertigungstechnik) von der Max- und Erni-Bühler Stiftung massiv gefördert und unterstützt. Thematisch ging und geht es immer um die „Kaltverformung von Metallen“. Hierzu konnten wir über die Jahre, oder besser, Jahrzehnte, im Rahmen von Projekt-, Diplom-, Bachelor- und Masterarbeiten bis hin zu Promotionen wertvolle Ergebnisse erarbeiten und über zahlreiche Publikationen auch international ein gutes Feedback erreichen. Eine Person war und ist auch heute dabei eine im positivsten Sinne wirklich „outstanding person“. Dies ist unsere Frau Ursula Christian, mit der ich das Glück hatte, seit Anbeginn unserer Bühler-Stiftung-Aktivitäten so viele Jahre so toll zusammenarbeiten zu dürfen. So gehört sie zweifelsfrei heute zu den „Urgesteinen“ der Werkstoffkunde hier an der Hochschule, und hat bis heute Generationen von Studenten im Labor für die faszinierende Welt der Werkstoffe begeistert. Dafür, auch an dieser Stelle für hoffentlich lange Zeit dokumentiert, meine Hochachtung und mein ausdrücklicher Dank liebe und sehr geehrte Frau Christian!
Was war die größte Herausforderung während Ihrer akademischen Laufbahn?
Prof. Jost: Das war zweifelsohne mein Zusatzstudium zum Dipl.-Wirt.-Ing. (FH). Zusätzlich zur Promotion und der dabei seinerzeit noch parallel laufenden Arbeit am Institut für Werkstoffe der Ruhr-Universität Bochum, entschloss ich mich zu diesem Studium mit vor allem wirtschaftswissenschaftlichen Inhalten (die sich im Nachhinein im Übrigen als überaus nützlich erwiesen haben). Das Studium wurde jedoch ausschließlich als Abendstudium angeboten, was zunächst mal ganz unverfänglich klingt, sich in der gelebten Realität dann aber als extrem belastend zeigte, war man doch nach der Tagesarbeit dann nochmals montags bis freitags jeden Abend von 18:00 bis 22:00 Uhr mit hoher Konzentration gefordert und die Wochenenden waren gefüllt mit Nachbereiten und intensivem Lernen. Freizeit war ein absolutes Fremdwort, absolut ungelebt in dieser Zeit. Die Abbrecherquoten in diesen Studiengängen waren enorm. Wir sind z.B. mit 32 Studenten gestartet und am Ende waren wir zu Fünft! Aber nach rd. 2 Jahren ging auch dies vorüber und es hat mir letztlich viel gegeben. Dieses erfolgreich absolvierte Zusatzstudium war dann doch sogar ein wesentliches Kriterium für den Einstieg bei der DEKRA AG in Stuttgart, wo man für die Position des Assistenten für den Vorstandsvorsitzenden und später zur Privatisierung des staatlichen Materialprüfamtes des Saarlandes genauso so jemanden suchte J. Schicksal oder Fügung mag ich das immer gern nennen.
Sie haben zahlreiche Studierende auf Ihrem Weg hin zum Studienabschluss oder sogar zur Promotion begleitet. Wie blicken Sie auf Ihre Lehrtätigkeit zurück und was raten Sie jungen Menschen, die aktuell in einem Programm der Ingenieurswissenschaften studieren oder promovieren?
Prof. Jost: Das alte und gleichzeitig immerwährende Thema: Lernen, Lernen und nochmals Lernen. Gerade die technischen Fächer erfordern da tatsächlich eine große Menge an Fleiß, aber am Ende lohnt es sich so enorm und nachhaltig, hat man doch Kenntnisse erlangt, die sowohl im Kleinen und in so vielen Fällen (manchmal sogar im Weltmaßstab) im richtig Großen Einfluss haben und dies alles technisch oftmals erst ermöglichen. Man gestaltet mit, man gestaltet mehr oder weniger immer mit an der Zukunft (wie sie auch immer aussehen mag)!
Weshalb haben Sie sich damals für ein Maschinenbaustudium entschieden? Was begeistert Sie besonders an dem Fach – damals und auch heute?
Prof. Jost: Das Zusammenspiel von so vielen Fachgebieten, angefangen von der Mathematik über die Mechanik, die Thermodynamik, Physik, Chemie, die Konstruktionslehre und so unheimlich Vieles mehr bis, ja, letztlich auch zum Verständnis der Werkstoffe, ohne die es gar keinen Maschinenbau (und auch Anderes) gäbe. Alle feste Materie, die uns umgibt, ist bzw. kann letztlich „Werkstoff“ sein.
Wenn Sie Ihr Maschinenbaustudium mit dem heutigen Studium vergleichen, welche Unterschiede gibt es da?
Prof. Jost: Eigentlich keine. Fleiß und Lernbereitschaft waren, sind und werden es immer sein, die Grundvoraussetzungen für ein erfolgreiches Studium. Wichtiger denn je sind heute bei der Vielzahl von möglichen „Beeinflussungen“, gerade in jungen Lebensjahren, m.E. aber die Kant´schen Erkenntnisse wie z.B. „sapere aude! Frei übersetzt: „Wage es, Dich Deines Verstandes zu bedienen!“ Und daher auch hier an die Studenten unter den Lesern: Denkt IMMER selbst, lasst Euch nichts ungefragt und ungeprüft erzählen. Nutzt Euren Verstand; dazu hat ihn Euch Gott (oder wer auch immer) gegeben!
Haben Sie bereits Pläne für Ihre Zeit „nach der HS PF“?
Prof. Jost: Ich werde mich neben meiner weiteren Aktivität mit und der damit dann auch verbundenen Leitung des Steinbeis-Transferzentrums „Werkstoffentwicklung und -prüfung“ meinem schon lange gepflegten aber auch genauso lange eher vernachlässigten Hobby „Oldtimer“ widmen. Darüber hinaus darf ich dem Maschinenbau hier in Pforzheim im Rahmen eines kleinen Lehrauftrages für die von Studenten immer sehr gern besuchte Vorlesung „Schadenskunde“ noch weiter treu bleiben. Also, in das berühmte „schwarze Loch“ im Übergang zum Ruhestand werde ich höchstwahrscheinlich nicht hineinfallen J.
Zur Person:
Prof. Dr.-Ing., Dipl.-Wirt.-Ing. (FH) Norbert Jost gehörte zu den Erstberufenen im Studiengang Maschinenbau im Jahr 1996 und hat diesen Studiengang von Anfang an maßgeblich mitgestaltet und aufgebaut. Zu Beginn seiner Laufbahn übernahm er alle Fächer, in denen sprichwörtlich „Not am Mann“ war. Im Laufe der Zeit etablierten sich Fächer wie Grundlagen der Werkstoffkunde1+2, Werkstofftechnik und Werkstoffprüfung bis hin zur Schadenskunde sowie das heute hervorragend ausgestattete Labor für Werkstoffkunde. Neben der Lehre beschäftigte sich Norbert Jost auch mit verschiedenen Forschungsthemen, wie z.B. „Legierungen mit Formgedächtnis“, „Metallische Schäume“ und „Hochleistungs-Kupferlegierungen“. Im Jahr 2012 gründete Norbert Jost gemeinsam mit dem Maschinenbau-Kollegen und Experten für Kunststofftechnik Gerhard Frey das Institut für Werkstoffe und Werkstofftechnologien (IWWT) an der Hochschule Pforzheim, dem er als wissenschaftlicher Leiter bis zu seinem Ausscheiden vorstand. Darüber hinaus engagierte er sich unter dem ebenfalls von ihm gegründeten Dach des Steinbeis-Transferzentrums Werkstoffentwicklung und -prüfung für den Transfer von Prüfdienstleistungen bis hin zu umfangreichen Schadengutachten für zahlreiche Unternehmen aus Pforzheim und der weiteren Region. Dieses Dienstleistungsfeld wird zukünftig auch weiter aufrechterhalten. Neben Gutachtertätigkeiten in verschiedenen Förderprogrammen des BMBF, des Landes und der Industrie war er stellvertretender Sprecher des Arbeitskreises „Materials Design and Manufacturing“ im Forschungsverbund „Center of Applied Research, (BW-CAR)“ in Baden-Württemberg. Von 1997 bis 1999 war er Mitglied des Senats und von 1999 bis 2002 Leiter des Instituts für Angewandte Forschung (IAF) der Hochschule Pforzheim. Er ist Träger des Stahl-Innovationspreises und erhielt 2008 den „Research Excellence Award“ der Hochschule Pforzheim.
Gemeinsam mit regionalen Verbänden und Unternehmen, hat Prof. Dr. Norbert Jost den „Pforzheimer Werkstofftag“ ins Leben gerufen. Der Werkstofftag fand 2012 zum ersten Mal statt und schlug eine Brücke zwischen Forschung und Praxis. Bis 2018 konnten sich hunderte Fachleute aus Unternehmen der metallverarbeitenden Industrie und des Handwerks, Hochschulen und Universitäten über den aktuellen Stand anwendungsorientierter Entwicklungen im Bereich der Werkstoffe und Werkstofftechnologien informieren und austauschen. Neben der Wirtschaftsförderung Pforzheim unterstützten zahlreiche namhafte Unternehmen diese sehr erfolgreiche Veranstaltung.
Im Jahr 2004 lud die Hochschule Pforzheim den Nachwuchs zur ersten Kinder-Uni ein. Von der ersten Stunde an entführte Prof. Norbert Jost mit seinem Werkstoff-Team die wissbegierigen Kinder mit Workshops und Vorlesungen in die Welt der Werkstoffe und gaben eine immer auf fruchtbaren Boden treffende Begeisterung für das Thema weiter.
In seiner akademischen Laufbahn hat Norbert Jost mehr als 150 (international vielfach zitierte) Fachartikel veröffentlicht und ist Autor mehrerer Lehr- und Übungsbücher zur Werkstoffkunde.