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Nachklang - HEED EMPATHIE FORUM

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Das Wir-Potenzial

ICH oder WIR? Im Oktober 2017 erschien im Wirtschaftsteil der ZEIT ein Artikel von Uwe Jean Heuser, der diese Frage in ein Postulat, wenn nicht gar in einen Imperativ verwandelt. „WIR statt Gier” lautete der Titel „Wer einen anderen Kapitalismus will, muss das Mitgefühl fördern. Forscher und Praktiker lernen gerade, wie das geht. Steht uns eine soziale Revolution bevor?” Empathie oder Mitgefühl sei der Stoff, aus dem Revolutionen gemacht werden. Denn unsere Fähigkeit zur Empathie spielt auf dem Weg zu einem anderen, humaneren Kapitalismus eine Schlüsselrolle. Der Homo oeconomicus, eingespannt zwischen Selbstsucht und Mitleid, kann an sich arbeiten und sein Mitgefühl gezielt trainieren – zum Wohl der Gemeinschaft und zum Wohl der Gesamtwirtschaft.

HEED, das von der Karl Schlecht Stiftung geförderte Institute for Human Engineering & Empathic Design der Hochschule Pforzheim, nahm diese Thematik auf: In dem öffentlichen Forum „Das Wir-Potenzial. Innovation durch Empathie“ beleuchteten führende Vertreter/innen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur das Thema Empathie facettenreich.

Matthias Bolz, Psychologe und Labor-Manager für soziale Neurowissenschaft am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig, definierte Empathie als die Fähigkeit, mit den Gefühlen einer anderen Person zu resonieren. Er betonte den Unterschied zwischen Empathie, Mitgefühl und kognitiver Perspektivenübernahme, der auch im gemeinsam mit Tania Singer entwickelten multimedialen eBook „Mitgefühl in Alltag und Forschung”[2] thematisiert wird. Matthias Bolz gewährte mit der Vorstellung des ReSource-Projekts tiefe Einblicke in unser „soziales Gehirn“. Die Studie erforscht die Auswirkungen eines mehrmonatigen mentalen Trainings auf die Empathiefähigkeit eines Menschen. Empathie wird durch physiologische Marker beispielsweise in Blut-, Hormon- und Hirnscans messbar gemacht. Im Rahmen der Studie unterzogen sich die Probanden unter anderem unterschiedlichen Formen von Meditationstrainings. Tatsächlich konnte durch die verschiedenen Module eine signifikante Steigerung unter anderem der sozialen Kognition sowie des Mitgefühls nachgewiesen werden.

Dr. Robert Eikmeyer, Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Kunst- und Designtheorie an der Hochschule und am HEED, hatte aus den Fragen und Gedanken, die er mit dem kurzfristig verhinderten ZEIT-Ressortleiter Uwe Jean Heuser über „Humanomics“ und die Möglichkeiten eines Mensch-zentrierten wirtschaftlichen Handelns austauschen wollte, einen Vortrag erarbeitet und das „WIR statt Gier“ durch ein „Gentlemen, willkommen im Fight Club“ ergänzt. Angelehnt an den gleichnamigen Film bezog er sich unter anderem auf Slavoj Zizek, Peter Sloterdijk, Friedrich Nietzsche, Brad Pitt, Edward Norton, Byung-Chul Han und Karl Marx.

Dr. Wolfgang Henseler, Professor für Intermediales Design an der Hochschule und Managing Director von SENSORY-MINDS, verdeutlichte in seinem Keynote-Vortrag zur Digitalen Transformation die Potenziale empathischer Objekte und smarter Technologien für den ökonomischen Wandel. „Man ist schneller weg, als man denkt“, warnte Henseler angesichts der digitalen TransformationDas betrifft nicht nur mittelständische Unternehmen, die zu lange auf Veränderungen verzichtet haben und jetzt endlich einen Onlineshop einrichten wollen, sondern auch große Konzerne wie Google und Amazon. Wem es jedoch gelingt, durch Algorithmen Usability und situative Relevanz zu schaffen und so die Nähe zum Kunden sicherzustellen, der könne auch zukünftig wirtschaftlich erfolgreich sein. Dabei gilt: „It´s always day one”, wie Wolfgang Henseler den Chef von Amazon, Jeff Bezos, zitierte. Nichts ist je zur Gänze fertig, alles bleibt in Bewegung.

Der Schauspieler Robert Besta, Ensemblemitglied des Pforzheimer Theaters und bekannt durch Film- und Fernsehrollen, demonstrierte einige schauspielerische Techniken, die bei der Einfühlung in verschiedene Rollen unterstützen können. Vor den Augen des Publikums schlüpfte er in unterschiedliche Gemütszustände, und auch die Besucher selbst durften einige Partnerübungen absolvieren.

 

Der zweite Tag der Veranstaltung wurde von Dr. Eva Köppen mit der Frage eingeleitet, welche Rolle Empathie in Zukunft spielen werde. Eva Köppen ist Mitbegründerin von Politics for Tomorrow, einer Initiative zur Förderung von Innovationen im öffentlichen Sektor. Gesellschaftliche Transformation für und mit Menschen zu gestalten, ist Ziel der Initiative. Es geht um eine Politik, die nicht den technologischen und ökonomischen Entwicklungen hinterherhinkt, sondern pro-aktiv das menschliche Wohl und die bürgerliche Teilhabe im Fokus hat. Mit Empathie beschäftigte sich Eva Köppen auch ausführlich in ihrer Dissertation „Empathy by Design”, eine Studie unter anderem zum Design Thinking, aus der sie design-geleitete Methoden zur Reorganisation der Arbeitswelt entwickelt. Eva Köppen beschreibt in diesem Werk Human Centered Design als eine Theorie, in welcher der Mensch für Innovationen als treibende Kraft benötigt wird und Empathie als Inspirationslieferantin verstanden werden kann. Empathie beschrieb sie in ihrem Vortrag als offene, diplomatische, neugierige Haltung. Im Unternehmenskontext unterscheidet sie zwischen interner Empathie im Team bzw. im Unternehmen und externer Empathie gegenüber den Nutzer/innen und Kund/innen, um diese in den Mittelpunkt zu stellen. Sie kritisierte jedoch, dass Empathie in der Praxis meist nur oberflächlich ausgeübt werden kann und oft als Machtinstrument missbraucht werde. Eine analytische Trennung zwischen emotionaler und kognitiver Ebene, wie sie in der Neurowissenschaft vollzogen wird, sei zudem im Alltag und in der Praxis nicht möglich.

Dr. Fitz Breithaupt, Professor an der Indiana University in Bloomington und Autor von „Kulturen der Empathie”und „Die dunklen Seiten der Empathie”, sprach über Konstruktions- und Blockademodelle kognitiver und narrativer Empathie. Die jüngere Publikation behandelt die Empathie von ihrer dunklen Seite aus, kreist vor allem um Friedrich Nietzsches Genealogie der Moral, das Ich und Opfer-Täter-Beziehungen. Empathie definiert Breithaupt als das Miterleben der Situation eines anderen. Dabei laufen sowohl emotionale als auch kognitive Prozesse ab. Einen Auslöser von Empathie sieht Breithaupt in einer Dreierszene: Bei einem Streit ergreifen Beobachter implizit und sehr schnell Partei für eine Seite, indem sie die Situation mitfühlen und -erleben und dabei Empathie aufbauen. Breithaupt zufolge sei der Einzelne vor allem in jenen Momenten zu mehr Empathie bereit, in denen die Situation ein absehbares Ende habe und man sich eine Rückkehrstrategie zurechtlegen könne. Empathie ist jedoch keinesfalls generell positiv zu sehen. Sie kann durchaus auch Schlimmes bewirken, beispielsweise bei der Manipulation der Emotionen anderer oder beim empathischen Sadismus, der nicht nur bei Psychopathen erkennbar ist, sondern sich auch beim Mobbing, Bloßstellen oder Strafen äußert. Eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung der Empathie komme laut Breithaupt dem Theater zu, einemTraining der kollektiven Aufmerksamkeit, wodurch Empathie und Einfühlungsvermögen geübt und verbessert werden können.

In einer abschließenden Podiumsdiskussion erörterten Matthias Bolz, Eva Köppen, Fritz Breithaupt, Robert Eikmeyer und HEED-Direktor Thomas Hensel die unterschiedlichen Definitionen von Empathie, die sich im Laufe des Forums gezeigt hatten. Empathie sei ein Thema mit hoher gesellschaftlicher Relevanz, das sich auch in einem steigenden Interpersonal Reactivity Index (IRI) zeige, und auch in der Unternehmensführung sei Empathie eine Kompetenz, die zum Erfolg führen könne.

 

Das HEED-Empathie Forum zeigte in den zwei Tagen das breite Spektrum der Empathieforschung und die zum Teil auch gegenläufigen Haltungen der Gäste und ihrer Disziplinen, die sich in einem anregenden Austausch gegenseitig befruchteten. Durch die noch offenen, anregenden Fragestellungen ergibt sich für die Empathie auch zukünftig ein großer Forschungsraum, den HEED auch weiter mitgestalten wird.