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Secret Pack-Automaten. Nachhaltig oder kurzlebig? Ein „Flur.vunk“ von Prof. Dr. Steffen Kroschwald, Direktor des Instituts für Verbraucherforschung und nachhaltigen Konsum (vunk) an der Hochschule Pforzheim

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Wie aus dem Nichts tauchen derzeit sogenannte „Secret Pack-Automaten“ in vielen Innenstädten plötzlich auf und erzeugen bemerkenswerte Aufmerksamkeit. In den Automaten zum Kauf angeboten: Verpackte Retourenware, die zum Einheitspreis erworben werden kann, ohne zu wissen, was sich in den Retourenpaketen befindet. Ein nachhaltiges Geschäftsmodell, das Verbrauchern die Chance auf ein Schnäppchen und zurückgesendeter Ware die Chance auf Nutzung, statt Vernichtung verschafft? Oder ein Glücksspiel mit zweifelhaftem Nutzen für die Umwelt und Risiken für den Schutz der Verbraucher? Aus dem vunk-Institut haben wir für eine Presseanfrage Vor- und Nachteile schlaglichtartig beleuchtet und sehen spannende Anstöße für eine verbraucher- und nachhaltigkeitswissenschaftliche Flurdebatte. Insofern: Zeit für einen „Flur.vunk“.

Bildquelle: vunk

Wer jüngst aufmerksam durch Städte, aber zum Teil auch Dorfstraßen geht, kann in teils frequentierten Lagen (oder solchen, die es dadurch werden) Verkaufsautomaten entdecken, deren Produkte, blickdicht verhüllt, in Versandverpackung stecken. Es handelt sich häufig um Retourenpakete mit Ware von Online-Versandhändlern. Das Geschäftsmodell der Betreiber solcher „Secret Pack-Automaten“ oder „Mystery Pack-Automaten“ basiert darauf, noch ungeöffnete Pakete mit (Verbraucher-)Rücksendungen – direkt oder über Zwischenhändler – von Online-Versandhändlern anzukaufen und über ihre Automaten für einen Festpreis (z.B. 8 bis 10 Euro) anzubieten. Was als „Mystery Box-Sales“ über Online-Plattformen entstanden ist, scheint den Ritt auf seiner Erfolgswelle nun im stationären Automatenhandel fortzusetzen. Für den Versandhändler vermag das Geschäft lukrativ zu sein, spart er sich doch Kosten für das Auspacken, Prüfen, Weiterverwerten oder Entsorgen der zum Beispiel aufgrund des Verbraucherwiderrufs in großen Massen eintreffenden und häufig nicht mehr oder zumindest nicht mehr zum Originalpreis weiterverkäuflichen Retouren. Zwischenhändler und Automatenbetreiber profitieren von gut kalkulierbaren Margen zwischen Einkaufs- und Verkaufsfestpreisen. Und Kunden verspricht der Erwerb von Ware zum einstelligen Europreis die Chance auf ein Schnäppchen – befinden sich in den Paketen doch mitunter hochwertige Konsumgüter wie Markenbekleidung oder Elektronik. 

Eine zweite Chance für sonst ungeliebte Ware und mit ein wenig Glück der Schnäppchen-Hauptgewinn? 

Derartige Geschäftsmodelle lassen sich als Möglichkeit verstehen, Produkte, die ansonsten gegebenenfalls nicht mehr verkäuflich wären und nicht selten entsorgt werden, doch noch an Kundinnen und Kunden und damit in die bestimmungsgemäße Nutzung zu bringen; folglich auch einen Beitrag zur Nachhaltigkeit zu leisten. Auch ließe sich anbringen, dass der Kauf auf Überraschung mit gewissem Unterhaltungscharakter verbunden ist und gleichzeitig in Zeiten wirtschaftlicher Herausforderungen für viele Verbraucher eine Chance sei, mit wenig Einsatz und ein wenig Glück hochwertige Ware zu erwerben. Ob und inwieweit diese positiven Effekte für Umwelt und Verbraucher eintreten, lässt sich ohne tiefergehende, multidisziplinäre Untersuchung schwer einschätzen. Aus der Perspektive des Verbraucherschutzrechts sind gleichwohl einige Aspekte augenfällig.

Verbraucherschutz beim Kauf der „Katze im Sack“ ohne Widerrufsrecht?

Grundsätzlich handelt es sich beim stationären Automatenverkaufsgeschäft um einen regulären Kaufvertrag, den der Käufer in der Regel mit dem Automatenbetreiber schließt. Im Vergleich zum bekannten automatenbasierten Vertrieb von Ware besteht aber die Besonderheit, dass sich der Kauf auf einen den Vertragsparteien (Automatenbetreiber als Verkäufer und Käufer) nicht final bekannten Kaufgegenstand bezieht. An den Rechten und Pflichten aus dem Kaufvertrag ändert dies zunächst einmal nichts. Käufer haben grundsätzlich vergleichbare Rechte wie beim Ladenkauf. Insbesondere können sie Gewährleistungsrechte geltend machen, sollte sich die Kaufsache als mangelhaft herausstellen. Dass die Ware beim ursprünglichen Online-Käufer möglicherweise schon in Betrieb genommen und gebraucht wurde und vielleicht sogar schon mehrfach retourniert wurde, ändert daran nichts. Insbesondere profitieren Verbraucher davon, dass sie in den ersten 12 Monaten nach Kauf nicht nachweisen müssen, dass die Ware den Mangel schon im Automaten hatte. Anders als beim Ladenkauf haben Kunden aber faktisch keine Möglichkeit die Ware bereits vor dem Kauf in Augenschein zu nehmen, Qualität und Preise zu vergleichen und möglicherweise zu prüfen (Kleidung etwa anzuprobieren). 

Eingeschränkte Möglichkeiten, Ware vor dem Kauf zu prüfen, kennen auch Online-Käufer. Genau für diese Zwecke wurde das in der Regel 14-tägige Verbraucherwiderrufsrecht geschaffen. Beim stationären Automatenkauf steht dieses Recht dem Verbraucher mangels „Fernabsatz“ aber gerade nicht zu – ein bedeutender Unterschied zum ursprünglichen Ausgangsphänomen des Mystery-Shoppings auf Online-Plattformen. Verbraucher, die, anders als beim Ladenkauf, Ware nicht vor dem Kauf prüfen, nach dem Kauf aber nicht ohne Grund Ware durch Verbraucherwiderruf zurückgeben können, bekommen in dieser verbraucherschutzrechtlichen Hinsicht beim Secret Pack-Shopping salopp gesagt das „schlechteste aus beiden Welten“. 

Ein unreguliertes Automatencasino mit Suchtpotenzial?

Wo sich, Berichten zufolge, vor neu aufgestellten Automaten lange Schlangen bilden und Kunden mit großer Spannung bei jedem Kauf auf einen „Hauptgewinn“ hoffen, es mitunter immer und immer wieder versuchen, wird nicht nur der Unterhaltungscharakter dieser Erscheinung sichtbar. Es drängt sich auch die Frage auf, ob Verbraucher durch die Art und Weise des Angebots zu impulsiven wiederkehrenden Käufen verleitet werden könnten und ob sich hierdurch auch mit aus dem Gewinnspiel, etwa an Gewinnspielautomaten, vergleichbare Risiken für Einzelne ergeben könnten. Der Kauf am Automaten mit einem Zufallsergebnis vermag möglicherweise entsprechend besonders stimulierend wirken, was aber fachlich zu untersuchen wäre. Der Kontext des anonymen und gegebenenfalls unbemerkten und damit sozial wenig regulierten Kaufs (ohne hemmende menschliche Interaktion), mit zugleich niedriger Einstiegshürde und Hemmschwelle aufgrund vergleichsweise geringen Einzeleinsatzes, mag dies wie bei Automatengewinnspielen möglicherweise begünstigen. Derartige mögliche Potenzialannahmen sind freilich nicht validiert und müssten wissenschaftlich näher untersucht werden. Sollten Effekte mit dem Automatengewinnspiel vergleichbar sein, wäre indes zu bedenken, dass das Automatengewinnspiel  durch das Gewinnspielrecht streng reguliert ist. Dieses fordert von Gewinnspielautomaten und ihren Betreibern unter anderem Maßnahmen und Mechanismen des Spielersuchtschutzes, der Verlangsamung und Begrenzung des Spiels und der Verlustpotenziale sowie der Transparenz in Bezug auf Einsatz und Gewinnchance. Das „Spiel“ um die verpackte Ware scheint hiervon zumindest faktisch bislang unbehelligt zu sein, was zu diskutieren wäre. 

Nachhaltigkeitsrevolution oder Resterampe für wertvolle Ressourcen?

Aus Nachhaltigkeitssicht ist zwar grundsätzlich begrüßenswert, dass Geschäftsmodelle mit dem Ziel bestehen, Retourenwaren wieder in den Handelskreislauf zu bringen; auch bei Gebrauchtwaren – hingewiesen sei z.B. auf das "Refurbishment" gebrauchter Ware. Vorliegend ist aber nur bedingt erkennbar, wie mit den hier beschriebenen Automaten gezielt Ware an konkrete diesbezügliche Nachfrager allokiert und damit einem möglichen Online-Fehlkauf die dramatische Umweltwirkung genommen werden könnte oder gar auch nur soll. Ob Käufer die auf gut Glück erworbene Ware wirklich benötigen oder zumindest verwenden können, mag – auch, wenn mitunter ein „Treffer“ vorkommt – in vielen Fällen zweifelhaft sein. Es stellt sich die Frage, in wie vielen Fällen nicht benötigte Ware im besten Fall weiterverkauft oder verschenkt wird. Wie häufig sie – schon aufgrund des vergleichsweise günstigen Kaufpreises – entsorgt wird, und dies, anders als bei Händlern, zum Beispiel bei Elektronik häufig nicht fachgerecht. Oder wie oft sie als gebundene Ressource ungenutzt in Haushalten eingelagert wird. Aus Nachhaltiggkeitssicht müsste es eher das Ziel sein, Ressourcenverbrauch an sich zu reduzieren, indem nur Produkte erworben werden, die auch im Eigenbesitz benötigt werden, diese Produkte möglichst lange genutzt, repariert und wiederverwendet werden. 

Zu diskutieren wäre zusammenfassend, ob es sich bei dieser, auch sichtbar durch soziale Medien gehypten Weise des Warenvertriebs, weniger um ein revolutionär nachhaltiges Geschäftsmodell handelt, als vielmehr um ein symptomartiges Phänomen der schnellen und wenig nachhaltigen Folgen der Massenkonsum- und Retourenzyklen, die durch den Online-Handel (mit diesbezüglich sogar problemverstärkend niederschwelligen Verbraucherrechten) erschaffen wurden. Für die Verbraucher- und Nachhaltigkeitswissenschaft ist das Phänomen – gleich wie kurz sein Hype sein mag – aber ein durchaus interessantes Anschauungsobjekt, das eine Betrachtung lohnt.

In der regionalen Presse: (Badische Neue Nachrichten vom 11.9.2024): https://bnn.de/karlsruhe/karlsruhe-stadt/secret-pack-automat-lockt-kunden-in-karlsruher-postgalerie

Einführende Medienbeiträge: 

(Bayrischer Rundfunk, BW24-Nachrichten vom 18.3.2024)

https://www.br.de/nachrichten/bayern/trend-secret-pack-automat-allgaeuer-auf-schnaeppchen-jagd,UADahyt

(Südwestrundfunk, SWR Aktuell vom28.6.2024)

https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/suedbaden/neuer-hype-secret-packs-am-freiburger-bahnhof-100.html