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Mit Eigenverantwortung aus der Corona-Krise

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Diplom-Psychologe Stephan Grünewald eröffnet das Studium Generale.
Diplom-Psychologe Stephan Grünewald. Screenshot: Youtube-Kanal Studium Generale

Diplom-Psychologe Stephan Grünewald. Screenshot: Youtube-Kanal Studium Generale

Ein Lockdown jagt den nächsten, Ungewissheit und Stagnation nagen an der Bevölkerung. In seinem Vortrag „Wie tickt Deutschland nach einem Jahr Corona?“ bilanzierte Stephan Grünewald die Stimmung der Deutschen. Zum Auftakt des Studium Generale an der Hochschule Pforzheim erklärte der Diplom-Psychologe dem Publikum im Live-Stream, welche Strategien aus dieser gefühlten „Corona-Dauerschleife“ führen könnten, wie Professorin Dr. Christa Wehner, die gemeinsam mit ihrer Kollegin Professorin Dr. Frauke Sander die wissenschaftliche Leitung der Veranstaltungsreihe innehat, die Gemütslage vieler in Worte fasste. Der Gründer des Kölner Marktforschungsinstituts Rheingold und Mitglied des NRW-Corona-Expertenrats setzt nicht nur auf konsequente Prophylaxe-Maßnahmen, sondern vor allem auf die Eigenverantwortung der Bürger.

Prämisse für eine Entwicklung in Richtung Öffnung sei jedoch zunächst die Akzeptanz, dass es ein „Covid Zero“, eine Zeit gänzlich ohne Corona, nicht geben werde. „So schmerzlich das ist, Corona wird Teil unserer Wirklichkeit bleiben. Daher ist es wichtig, einen klugen und kontrollierten Umgang mit diesem Virus zu entwickeln“, erklärte Grünewald. Regelmäßige Schnelltests, strikte FFP2-Maskenpflicht, eine konsequente Impfstrategie sowie die Nutzung von Kontaktdatenübermittlungs-Apps benannte er als wichtige Werkzeuge für eine Rückkehr in die Normalität.

Die Macherinnen des Studium Generale: Professorin Dr. Christa Wehner (links) und Professorin Dr. Frauke Sander. Beide sind am Veranstaltungstag negativ auf das Coronavirus getestet worden. Foto: Jeanne LutzDie Macherinnen des Studium Generale: Professorin Dr. Christa Wehner (links) und Professorin Dr. Frauke Sander. Beide sind am Veranstaltungstag negativ auf das Coronavirus getestet worden. Foto: Jeanne Lutz

Dass das zögerliche Krisenmanagement von Stunde Null, dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020, bis heute auch der Weg in die aktuelle Perspektivlosigkeit war, verdeutlichte Grünewald anhand der Erkenntnisse, die sein Team und er in Hunderten tiefenpsychologischer Interviews im vergangenen Jahr gesammelt haben. Zu Beginn der Pandemie habe bei den Menschen das Gefühl der Ohnmacht dominiert. „Das ist seelisch der größtmögliche Störfall“, erläuterte Grünewald. Mit Hamsterkäufen hätten viele versucht, zumindest ein Gefühl von Handlungsfähigkeit zu erlangen. Gesellschaftlich habe der „unsichtbare Feind“ Corona jedoch zu einem ungekannten Schulterschluss geführt, dessen Disziplin Deutschland vergleichsweise niedrige Inzidenzen und frühe Öffnungsbewegungen bescherten. Was folgte, war ein verhältnismäßig unbeschwerter Sommer, ehe der Oktober einen „Lockdown light“ brachte – und in eine Dauerschleife aus Öffnungen und Schließungen führte. Anders als im Frühjahr 2020 sei die Disziplin der Bevölkerung nach Monaten des „Breitband-Antibiotikums Dauer-Lockdown“ jedoch deutlich gesunken. „Die Menschen haben immer noch Respekt vor Corona, aber die Angst ist längst nicht mehr so groß“, sagte Grünewald. Das Ergebnis: ein Leben in „Grauzonen“ des „Schattenalltags“. 

Der Psychologe sieht zwei Wege, mit der Krise umzugehen: Zum einen passiv in Form eines strengen Lockdowns wie aktuell zum Beispiel in Griechenland. Angesichts der Pandemie-Müdigkeit der Deutschen dürfte es dafür jedoch zu spät sein. Zum anderen aktiv mit einer Vielzahl prophylaktischer Maßnahmen, um die Kontrolle über das Infektionsgeschehen zu behalten. Dass die Politik in Deutschland aktuell weder den einen noch den anderen Modus konsequent verfolgt, hat nach Grünewald mehrere Gründe. Erinnerungen an den ersten erfolgreichen Lockdown, die Angst der Politiker vor falschen Entscheidungen („Vollkasko-Mentalität“), aber auch der Glaube, das Virus vollständig besiegen zu können – all dies hätte zur Dauerschleife aus einer „löchrigen Passivität“ und „zielgehemmten Aktivität“ geführt.

Nun stellt sich die Frage, ob das Land in diesem Status verharrt oder sich an die kontrollierte Öffnung wagt, wie sie in Modellstädten wie Tübingen oder dem sächsischen Augustusburg bereits erprobt wird. Dass die Pandemie die Gesellschaft nachhaltig verändern wird, verdeutlichen die Trends, die Grünewald und sein Team ausgemacht haben. So wünschten sich viele Bürger auch nach Corona eine bessere Work-Life-Balance, verbunden mit einer Entschleunigung ihres Alltags. Das Home Office sei endgültig etabliert. Als Entwicklungsbeschleuniger habe die Krise zudem der Digitalisierung sowie der Sensibilisierung für Regionalität Aufwind gegeben. Das kreative Potenzial, das die Krise freigesetzt habe, könnte laut Grünewald Veränderungsprozesse der Zukunft anstoßen: „Es wächst der Wunsch nach einer neuen Zuversicht, … nach einer Zukunft, in der man etwas ausrichten und gestalten kann.“

Der Vortrag „Wie tickt Deutschland nach einem Jahr Corona“ ist noch bis zum 20. April hier abrufbar.